diagnose

Seit einigen Monaten hatte ich beim Essen das Gefühl, dass mir die Nahrung in der Speiseröhre stecken blieb. Alles halb so schlimm dachte ich, ich hatte im Internet von diesen Motilitätsstörungen der Speiseröhre gelesen, die z.b. durch Stress ausgelöst werden. Daher sind wir dann erstmal in den Urlaub an die Nordsee gefahren. Doch auch während der Tage ohne Stress wurde die Schluckproblematik nicht besser. Nachdem wir wieder zu Hause waren, bin ich umgehend zum Arzt gegangen. Als ich meinem Hausarzt von diesen Beschwerden erzählte, überwies er mich zu meiner ersten Magenspiegelung. Am 11. Oktober 2012 war dann dieser Termin. Die Untersuchung wurde im Wachzustand unter örtlicher Betäubung durchgeführt. Da ich dabei extreme Würgereize hatte, war es sehr anstrengend für mich. Ich war danach so erledigt, dass ich das Gespräch mit dem Arzt wie in Trance erlebte und so gut wie nichts verstand. Es war ein Segen für mich, dass meine Frau dabei war. Sie hat mir die Diagnose später erklärt. In den nächsten Tagen haben wir die Familie und meinen Chef informiert, denn nur vier Tage nach der ersten Magenspiegelung folgte schon die nächste Untersuchung - ein CT bei dem ein Kontrastmittel in die Venen gespritzt wurde. Dann am 22. Oktober eine zweite Magenspiegelung mit Endosonographie. Diese Untersuchung fand aber mit totaler Entspannung im Schlaf statt. Drei Tage danach, am 25. Oktober war die Laproskopie unter Vollnarkose. Eine minimalinvasive Untersuchung, bei der durch drei kleine Schnitte im Bauch, mit einer Kamera nach Metastasen gesucht wurde. Im Rahmen dieses Eingriffs bekam ich auch das Port-System implantiert. Als ich dann nach drei Tagen die chirurgische Station wieder in Richtung Heimat velassen durfte, konnte ich dem Entlassungsschreiben entnehmen:

  • Diagnose:    Plattenepithelkarzinom des Ösophagus, 35 - 43 cm ab Zahnreihe (ICD-10: C15.5), 10/2012
  • Stadium:       uT3 N+ (paraösophageal, zoeliakal) M0
  • Histologie:    Invasives, gut differenziertes, fokal verhornendes Plattenepithelkarzinom, G1

Vorbehandlung

Mein Fall wurde dann, mit meiner Einwilligung, umgehend im interdisziplinären G-CCC-Tumor-Board der Uni-Göttingen vorgestellt und dort die Vorbehandlung festgelegt:    neoadjuvante Radio-/Chemotherapie nach WALSH-Protokoll (40 Gy, 5 FU + Cisplatin), 11 - 12/2012

Im ausführlichen Gespräch mit dem Oberarzt der Strahlenklinik wurde mir klar: "Du hast keine Alternative". Die Vorbehandlung sollte den Tumor so weit verkleinern, dass er danach operativ entfernt werden konnte. Am 1. November 2012 wurden dann schon mit Hilfe eines Computertomographen das Bestrahlungsfeld sowie die Positionsmarkierungen auf meinem Oberkörper aufgebracht. Die mit wasserfestem Stift gezogenen bunten Striche und Kreuze sollten für die nächsten Wochen halten. Deshalb wurden diese mit durchsichtigem Klebeband abgedeckt. Am 5. November folgte eine Simmulation mit dem Bestrahlungsgerät. Da lag ich nun das erste mal, mit nacktem Oberkörper und einem bedrückendem Gefühl, unter dem Clinac4. Aber wie ich im Laufe der Zeit feststellen sollte, war die Bestrahlung das Einfachste an der gesamten Vorbehandlung. Zwei Tage später bekam ich dann schon die erste von zwanzig Bestrahlungen. Die Anwendungen fanden fünf mal pro Woche von Montag bis Freitag statt und dauerten nur wenige Minuten. Während der zwei Chemozyklen bin ich immer von der Station 5021 bis zur Strahlentherapie, mit dem Infusionsrollständer in der Hand, hin und her gegangen. Zu den ambulanten Bestrahlungsterminen zwischen dem 19. November und dem 3. Dezember bin ich von Zuhause bis in die Uni-Klinik mit dem Taxi gependelt.

1. Chemozyklus

Am 7. November wurde ich für den ersten Chemozyklus auf der Station 5021 in der UMG-Göttingen aufgenommen. Nach einigen Untersuchungen ging es am Folgetag auch schon los. Der Port wurde angestochen und die erste 5-FU Infusion tropfte. Zeitgleich zur täglichen Strahlendosis gab es diese Beutel für vier weitere Tage. Leider mit einer Unterbrechung durch das Wochenende. Dann hatte ich am Donnerstag den 15. November einen Tag Chemopause. Am Freitag bekam ich das Cisplatin zusammen mit mehreren Litern Flüssigkeit per Infusion und sollte am Samstag entlassen werden. Daraus wurde aber nichts. Ich bekam Freitag gegen 18.30 Uhr Herzrasen, ein Druckgefühl und Schmerzen im Brustbereich. Als mir mein Bettnachbar dann sagte: " Das hatte ich auch schon - das ist ein Herzinfarkt!", kam noch das Kopfkino dazu. Nach Blutuntersuchungen und dem EKG dann die Entwarnung - Das Mittel, welches die Ausscheidung der Flüssigkeit aus meinem Körper unterstützen sollte, hatte wohl nicht funktioniert. Ich bekam dann das Mittel Lasix über den Port verabreicht und mußte schon kurze Zeit danach mehrmals zum WC. Schlagartig waren die Herzinfarktsymptome dann wieder verschwunden. Nach zwei weiteren Nächten und Visiten durch den diensthabenden Arzt konnte ich dann am Sonntagvormittag wieder nach Hause.

2. Chemozyklus

Am 3. Dezember wurde ich für den zweiten Chemozyklus wieder auf der Station 5021 aufgenommen. Der Ablauf war identisch mit dem der ersten Behandlung. Es war aber am Anfang dieses Zykluses noch nicht klar, ob die Cisplatininfusion möglich wäre, da die Leukozyten im Blut nicht die erforderliche Menge hatten. Die mehrmalige Auswertung des Blutbildes über die Tage brachte dann aber die positive Entscheidung. Alles konnte nach Plan laufen. Ab dem 5. Dezember brauchte ich dann auch nicht mehr zur Bestrahlung. Nur noch den Rest der Chemo und dann war die Vorbehandlung geschafft. Am 11. Dezember hat mich meine Frau wieder mit nach Hause genommen.

Nebenwirkungen

Die durch den Tumor ausgelösten Schluckprobleme waren nach den Magenspiegelungen beseitigt und sind während der gesamten Behandlung kaum aufgetreten. In der ersten Woche der Vorbehandlung ging es mir erstaunlich gut. Ich hatte großen Apetit und konnte alles essen. Ab der zweiten Woche waren die ersten Symptome zu bemerken. Die Kopf- und Gesichtshaut wurde trocken und schuppig. Bauchschmerz, Übelkeit und Durchfälle. Dann kam die Appetitlosigkeit und damit verbunden der Gewichtsverlußt. Eine gewisse Müdigkeit und Abgeschlagenheit kam dazu. Dann schmeckte irgendwann alles irgendwie metallisch. Es bildeten sich immer mal wieder mehr oder weniger Pickel am gesamten Oberkörper. Einige dieser Nebenwirkungen waren auch noch vor dem Operationstermin vorhanden.

Regeneration

Vom 12. Dezember 2012 bis zum 15. Januar 2013 war dann die geplante Regenerationspause. Weihnachten und den Jahreswechsel Zuhause - das war echt gut. Da meine Blutwerte noch nicht wieder stabil waren, haben wir die Feiertage im ganz kleinen Rahmen verbracht. Schade, dass mir der Sekt beim anstoßen auf das neue Jahr nicht geschmeckt hat. Bis zur Operation hatte ich nur wenig Besuch und bin auch nur die absolut nötigsten Wege aus dem Haus gewesen. Die Ansteckungsgefahren mit einem geschwächten Immunsystem habe ich sehr ernst genommen. Hin und wieder haben meine Frau und ich einen Spaziergang gemacht. Ich habe mit ihrer Hilfe und durch ihre motivierenden Worte mein Körpergewicht wieder erhöhen können. Es war aus heutiger Sicht eine sehr gute Vorbereitung auf die Operation und für die Zeit danach.

Die Operation

Am Mittwoch den 16. Januar 2013 bin ich dann mit meiner Frau wieder in die Uni-Klinik gefahren. Ich wurde auf die Station 6014 in der Chirurgie aufgenommen. Ich dachte so bei mir, das wird bestimmt erstmal bis zum Wochenende mit Voruntersuchungen losgehen und dann nächsten Montag die OP. Aber so war es dann nicht. Das Re-Staging und alle erforderlichen Untersuchungen fanden sofort statt. Die Gespräche mit der Anästhesie ließen mich schon das erste mal große Augen machen, denn ich hatte mich im Vorfeld  noch nicht mit der Operation beschäftigt. Dann kam am Nachmittag der Operateur und erläuterte mir den Umfang und den Aufwand der Operation. Total platt war ich, als er mir mit ruhiger Stimme sagte: " Beim Aufwachen bitte keine Panik, es ist normal, dass sie sich fühlen, als hätte sie ein Bus überfahren!". In der Nacht vor der OP habe ich gut geschlafen, ohne ein Schlafmittel oder Medikament zu nehmen. Am nächsten Tag bin ich um 5.30 Uhr unter die Dusche und hab mir danach die modische OP-Wäsche angezogen. Kurz darauf hat mir eine Schwester eine Pille gegeben, die mich beruhigen sollte. Dann kam auch schon mein Transporteur. Er hat mich mit meinem Bett in den Vorraum der OP-Säle geschoben. Dort wurde ich auf eine Liege umgebettet und für die OP vorbereitet. Als ich in den OP gebracht wurde, war ich noch bei vollem Bewustsein aber irgendwie ziemlich gelassen. Das Anästhesieteam hat mich nur kurz erschrocken als sie fragten, ob das linke oder das rechte Bein abgenommen werden soll. Das war aber wohl nur, um meine geistige Anwesenheit zu überprüfen. Dann wurde es relativ sanft dunkel. Am späten Nachmittag bin ich dann auf der chirurgisch geleiteten Intensivstation wieder aufgewacht und habe schnell festgestell, dass es wohl ein riesiger Bus gewesen sein mußte. Ich fühlte mich wie nach einem verlorenem Kampf gegen eine Dampfwalze.

 

tag 1 - 5 nach der op

Dann muß ich doch noch einige Stunden geschlafen haben, denn ich kann mich nur noch an den nächsten Morgen erinnern. Eine sehr nette Schwester hat mir die Utensilien für die Morgentoilette ans Bett gebracht, mich gewaschen und ich habe mir schon selbst die Zähne geputz. Ich hab dann erst einmal gestaunt, wieviel Schläuche und Behälter mit mir verbunden waren. Beim Versuch mich im Bett aufzurichten hatte ich das Gefühl, ich wäre festgeschnallt. Das waren aber die Auswirkungen der OP auf meinen Oberkörper. Dann war endlich auch meine Frau wieder da. Sie hatte zwischenzeitlich schon mit dem Operateur gesprochen. Nach seiner Aussage war wohl die Operation sehr gut gelaufen. Vom Oberarzt der Intensivstation bekam ich einen Atemtrainer, mit dem ich auch sofort anfangen sollte meine Lungen wieder zu stabilisieren. Das war echt anstrengend und schmerzhaft. Auch das Abhusten des Sekrets, welches sich durch die Beatmung während der OP gebildet hatte, war äußerst schwer. Da ich aber wohl schon ziemlich stabil war, hat man mich ein paar Stunden später schon auf die Wachstation verlegt. Dort blieb ich die nächsten drei Tage, wurde weiter maschinell überwacht und über den ZVK künstlich ernährt. Am zweiten Tag nach dem Eingriff bin ich schon das erste mal kurz aufgestanden. Ich wurde ab diesem Tag morgens auf einem Toilettenrollstuhl zum Waschtisch gefahren und konnte mich selbst waschen. Dann ging es am vierten Tag auch schon auf die Station 6014 zurück. Fünf Tage nach der Operation wurde eine Röntgenaufnahme gemacht, bei der ich ein Kontrastmittel schluckte. Da auf dem Bild keine Probleme an der Nahtstelle waren, wurde ich mit Tee und Suppe wieder ans Essen gewöhnt. Das Schlucken war eine echte Überwindung - im Kopf war: "Die Speiseröhre ist weg." Jeden Tag kam eine Physiotherapeutin und wir machten schon die ersten Spaziergänge durch die Flure.

tag 6 - 14 nach der op

Am 24. Januar 2013, also exakt am 7. Tag nach der Operation, sah mein Oberkörper schon wieder ganz akzeptabel aus:
 

Bezüglich der Ernährung sagte man mir in der Klinik, ich könne wieder alles Essen. Ich hatte aber gar keinen Apetit und hatte nach der Nahrungsaufnahme Bauchweh, eine Art Ohnmacht, Schweissausbrüche und so eine komische Schaumentwicklung im Mund. Beim Verzehr eines Milchbrötchens hatte ich wieder dieses Gefühl als ob es stecken blieb. Ich wußte auch noch nicht, dass die zeitgleiche Aufnahme von Speisen und Getränken schlecht ist. Ich habe wie immer z.b. beim Frühstück eine Tasse Kaffee getrunken und mich dabei gewundert, dass ich schon nach einem halben Brötchen ein Völlegefühl verspürte, als ob ich vier Brötchen gegessen hätte. Zudem war da immer dieser Hustenreiz, der gefühlt vom Zwerchfell ausgelöst wurde. Mehrmals wurde meine Lunge geröngt, weil sich ein Luftpolster zwischen Lunge- und Rippenfell gebildet hatte. Beim Röntgen wurde beobachtet wie dieses Luftpolster kleiner wurde. Im interdisziplinären G-CCC-Tumorboard wurde mein Fall nocheinmal nachbesprochen und dabei festgelegt, dass keine weitere Therapie nötig war. Am 14. Tag nach der Operation, das war Donnerstag der 31. Januar, bin ich als "Gesund" also Krebsfrei entlassen worden.